Zum Verständnis der unternehmensinternen Beschaffungsstruktur werden hier die einzelnen Beschaffungsaktivitäten beschrieben,
wobei auch die häufigsten Prozessstörungen und eventuell auftretenden Probleme erwähnt werden.
Im Beschaffungsprozess der Kunde GmbH kann man sechs Aktivitäten unterscheiden: Materialanforderung, Lieferantenauswahl,
Bestellung bzw. Auftrag, Wareneingang, Rechnungsprüfung und Zahlungsabwicklung.
Abb. 2: Die Hauptaktivitäten des traditionellen Beschaffungsprozesses.
Im Einzelnen bestehen die genannten Aktivitäten aus verschiedenen Tätigkeiten:
- Materialanforderung: Der erste Schritt des Beschaffungsprozesses ist die Feststellung und Meldung eines Materialbedarfs
von einer bestimmten Kundenabteilung bzw. -person. In der Regel wird ein Materialbedarfsplan in Verbindung mit dem Produktions- bzw.
Instandhaltungsplan im voraus erstellt, so dass die Kundenabteilung den jeweils fälligen Bedarf lediglich überprüfen soll.
Natürlich kann es auch aufgrund unerwarteter Schäden, Ausfälle, usw. ungeplante Materialbedarfe geben. Unabhängig davon,
ob der Materialbedarf geplant oder unerwartet ist, muss der Anforderer ein entsprechendes Formular
- nämlich den Materialanforderungsschein - ausfüllen und vom Abteilungs- bzw. Bereichsleiter unterschreiben lassen.
Dabei ist es wichtig, dass alle notwendige Daten angegeben werden, damit das nachgefragte Gut identifiziert und bei dem richtigen
Lieferanten bestellt werden kann. Also muss ein Materialanforderungsschein die möglichst genauen Daten über das notwendige Gut
- wie Hersteller, Artikelnummer, Menge, andere besondere Eigenschaften (z.B. die Grösse einer Dichtung oder die Leistung eines
Motors) und ggf. die Zeichnung
- enthalten. Auch die nachfragende Abteilung bzw. Person (ggf. mit Telefonnummer) soll angezeigt werden, so dass sie
die Einkaufsabteilung für eventuelle Rückfragen erreichen kann. Der Materialanforderungsschein muss vom Bereichsleiter
genehmigt, an die Einkaufsabteilung geschickt und danach abgelegt werden. In einzelnen Fällen muss die Produktionsabteilung
die Einkaufsabteilung mahnen, um die Ware rechtzeitig zu bekommen, insbesondere wenn sie dringlich gebraucht wird.
- Lieferantenauswahl: Die Einkaufsabteilung des Unternehmens erhält den Materialanforderungsschein und sucht den
passenden Lieferanten für die Beschaffung der notwendigen Ware.
"(...) Die Suche erfolgt anhand des unternehmerischen Database, da das Unternehmen üblicherweise
über ein sich aus den vergangenen Bestellungen ergebendes Lieferantenportfolio verfügt, in dem alle in Frage kommenden
Lieferanten für jede Materialart enthalten sind. Für bekannte bzw. in der Vergangenheit bestellte Produkte beschränkt sich
die Auswahl in der Regel auf dieses Portfolio, wobei für "unwichtige" Produkte in normalen Katalogen (Gelbe Seiten, usw.)
gesucht werden kann.
Für wichtige Produkte übernimmt diese Phase eine strategische Bedeutung. Der gewählte Lieferant muss
über die geeignete Technologie verfügen, um das nachgefragte Produkt mit guter Qualität, in der erforderlichen Menge
und zu niedrigem Preis anzubieten. Weitere relevante Voraussetzungen sind die Zuverlässigkeit, der After-Sales Service
und der Standort.
Nach der Überprüfung dieser Kriterien erfolgt die Entscheidung für einen oder mehrere Lieferanten.
Ein einzelner Lieferant kann aufgrund besonderer Eigenschaften wie Patenten, technischer Gegebenheiten, verfügbarer Rohstoffe,
Standort, usw. als auch wegen einem strategischen Vorhaben, z.B. im Fall einer geplanten langfristigen Beziehung, ausgewählt werden.
Verschiedene Lieferanten kommen hingegen in Frage, wenn keine der genannten Besonderheiten vorliegen, wobei die Konkurrenz
niedrigere Preise und bessere Dienstleistungen gewährleisten kann. Möglicherweise erfolgt für spezifische Bestellungen eine
Verhandlung bezüglich der Preise, Lieferzeiten und Zahlungsbedingungen.
Wie sich die endgültigen Bedingungen ergeben, hängt von
der Verhandlungsmacht und dem Verhalten beider Parteien ab. Für Standardprodukte, bei denen die Auswahl an Lieferanten hoch ist,
sind die Preise in den Lieferantenkatalogen festgelegt und können nur im Fall grosser Einkaufsvolumina verhandelt
werden.7" Die endgültige Entscheidung des Einkäufers wird auf Basis von einem Angebotsvergleich
getroffen. Er schickt den Lieferanten eine Anfrage, um Angebote zu bekommen und untereinander bezüglich Preis und Lieferzeit
vergleichen zu können. Sobald die Angebote der Lieferanten ankommen, wählt der Einkäufer das beste Angebot und dementsprechend
den optimalen Lieferanten aus. Strategische Entscheidungen werden im weiteren Prozessablauf nicht getroffen.
In der Analyse des eigentlichen Beschaffungsprozesses fällt die Lieferantenauswahl aus, da der jeweils optimale Lieferant
aus vorangegangenen Bestellungen schon identifiziert und im unternehmerischen Database gespeichert ist. Wie schon erläutert,
stellt der Beschaffungsprozess im eigentlichen Sinne einen operativen Vorgang dar, der keine strategische Entscheidung braucht.
An der Stelle der Lieferantenauswahl bleibt die Suche nach dem passenden Lieferanten in der Unternehmenssoftware, die jedoch
in der Phase "Bestellung bzw. Auftrag" impliziert wird. Deswegen sind es eigentlich fünf Beschaffungsaktivitäten.
- Bestellung bzw. Auftrag: Mit dieser Aktivität fängt der eigentliche Beschaffungsprozess an, da nur operative Tätigkeiten
für seine weitere Abwicklung erforderlich sind. Trotzdem beschäftigt sich die Einkaufsabteilung in der Regel auch damit, die
Bestellung bzw. den Auftrag zu erstellen, zu überprüfen und an den Lieferanten zu schicken. "Der Unterschied zwischen Bestellung
und Auftrag liegt darin, dass die Bestellung sich auf Produkte des Lieferantenkatalogs bezieht, während der Auftrag eine für den
Kundenbedarf spezifische Ware betrifft.8" Bestellung und Auftrag sind der vertragliche Ausdruck der Materialanforderung einer
Kundenabteilung und sollen daher alle erforderlichen Daten zur Identifizierung des Artikels, sowie die Liefer- und
Zahlungsbedingungen enthalten. Davon wird eine Kopie an die Buchhaltung und an das Lager geschickt.
In der Regel verlangt
die Einkaufsabteilung eine Auftragsbestätigung vom Lieferanten, in der die vertragliche Vereinbarung - mit Preis (ggf. auch Rabatt),
Menge und Lieferzeit - bestätigt wird.
Die Lieferung soll außerdem verfolgt werden, damit die Ware zum gewünschtem Zeitpunkt und Ort ankommt.
Dazu gehört die Ermittlung eventueller Verspätungen und die Mahnung der Lieferanten per Fax oder Telefon.
- Wareneingang: Sobald die Ware geliefert wird, findet die Warenannahme im Lager des Unternehmens statt. Bei der
Wareneingangskontrolle wird anhand des Lieferscheins und der Bestellung überprüft, ob die richtige Ware in der richtigen
Menge geliefert wurde. Weiterhin soll die Überprüfung der Qualität und der möglichen Mängel bzw. Schäden erfolgen.
Treten irgendwelche Probleme auf, bedarf es noch zusätzlichen Abstimmungen mit dem Lieferanten bzw. mit dem Anforderer.
Danach wird der Lieferschein unterschrieben und abgelegt.
- Rechnungsprüfung: In dieser Phase erfolgt der Rechnungseingang in der Buchhaltung. Die Rechnung soll sowohl mit der
Bestellung, als auch mit dem Lieferschein bezüglich des Warentyps und der Warenmenge übereinstimmen.
Der Preis und eventuelle Rabatte sollen in der Bestellung und in der Rechnung gleich sein.
Wenn die Daten nicht übereinstimmen,
muss die Buchhaltung diese Diskrepanzen beseitigen und Kontakt sowohl mit dem Lieferanten als auch mit der Einkaufsabteilung zur
Problemlösung aufnehmen.
Die Rechnung soll danach genehmigt, gebucht und an die Verwaltung weitergeleitet werden.
- Zahlungsabwicklung: Bevor eine Rechnung bezahlt wird, wird sie von der Verwaltung überprüft.
Weiterhin soll die Verwaltung eine Zahlungsermächtigung erstellen, genehmigen lassen und an die Bank schicken.
Bei Problemen kümmert sie sich auch um die Klärungen mit der Bank. Die bezahlten Rechnungen werden dann registriert und abgelegt.
Der Beschaffungsprozess ist somit abgeschlossen.
Zusammenfassend illustriert Tabelle 1 die Aktivitäten des traditionellen Beschaffungsprozesses.
Tab. 1: Die Beschaffungsaktivitäten im traditionellen Prozess.
7Marino V.: Interview, S. xvii.
8Marino V.: Interview, S. xviii.