Anhang

Interviews mit Herrn Vincenzo Marino, Geschäftsführer der Unitec Deutschland GmbH.

Erläuterung der Abkürzungen:
F = Frage
A = Antwort

1. Interview: 6.11.2002

F: Was verstehen Sie unter Beschaffung?
A: Unter Beschaffung versteht man die Erlangung und Bereitstellung der für die Erstellung und Verwertung der Produkte eines Betriebes notwendigen Güter.
Diese Güter sind Roh-, Hilfs-, und Betriebsstoffe, einzubauende Teile, Handelswaren sowie Sachanlagen. Wichtig ist, dass der Begriff "Beschaffung" mit "Einkauf" nicht verwechselt werden soll.

F: Was ist der Unterschied zwischen Einkauf und Beschaffung?
A: Der Einkauf besitzt eine strategische Bedeutung und verfügt über das notwendige Know-how, um die passenden Lieferanten zu finden, um die Preise zu verhandeln und um die Liefer- und Zahlungsbedingungen sowie die Art von Beziehung mit den einzelnen Lieferanten zu bestimmen.
Die Beschaffung beschäftigt sich hingegen mit den operativen Tätigkeiten zur Abwicklung des Bestellprozesses.

F: Ist also der Beschaffungsprozess lediglich ein operativer Vorgang?
A: Dies hängt von den erforderlichen Tätigkeiten bei der Suche bzw. der Auswahl des passenden Lieferanten ab. Die Suche erfolgt anhand des unternehmerischen Database, da das Unternehmen üblicherweise über ein, sich aus den vergangenen Bestellungen ergebendes, Lieferantenportfolio verfügt, in dem alle in Frage kommenden Lieferanten für jede Materialart enthalten sind.
Für bekannte bzw. in der Vergangenheit bestellte Produkte beschränkt sich die Auswahl in der Regel auf dieses Portfolio, wobei für "unwichtige" Produkte in normalen Katalogen (Gelbe Seiten, usw.) gesucht werden kann. Für wichtige Produkte übernimmt diese Phase eine strategische Bedeutung. Der gewählte Lieferant muss über die geeignete Technologie verfügen, um das nachgefragte Produkt mit guter Qualität, in der erforderlichen Menge und zu niedrigem Preis anzubieten. Weitere relevante Voraussetzungen sind die Zuverlässigkeit, der After-Sales Service und der Standort.
Nach der Überprüfung dieser Kriterien erfolgt die Entscheidung für einen oder mehrere Lieferanten. Ein einzelner Lieferant kann aufgrund besonderer Eigenschaften wie Patenten, technischer Gegebenheiten, verfügbarer Rohstoffe, Standort, usw. als auch wegen einem strategischen Vorhaben, z.B. im Fall einer geplanten langfristigen Beziehung, ausgewählt werden.
Verschiedene Lieferanten kommen hingegen in Frage, wenn keine der genannten Besonderheiten vorliegen, wobei die Konkurrenz niedrigere Preise und bessere Dienstleistungen gewährleisten kann.
Möglicherweise erfolgt für spezifische Bestellungen eine Verhandlung bezüglich der Preise, Lieferzeiten und Zahlungsbedingungen.
Wie sich die endgültigen Bedingungen ergeben, hängt von der Verhandlungsmacht und dem Verhalten beider Parteien ab. Für Standardprodukte, bei denen die Auswahl an Lieferanten hoch ist, sind die Preise in den Lieferantenkatalogen festgelegt und können nur im Fall grosser Einkaufsvolumina verhandelt werden.

F: Die Lieferantenauswahl ist also eine strategische Phase. Warum ist sie so wichtig?
A: Weil die Lieferanten eine wichtige Rolle spielen. Von ihrem Produktprogramm kann das Unternehmen auch völlig abhängig sein, da die Qualität der Produkte und Dienstleistungen des Lieferanten den Geschäftsablauf des gesamten Unternehmens stark beeinflussen kann.

2. Interview: 3.12.2002

F: Was ist der Unterschied zwischen Bestellung und Auftrag?
A: Der Unterschied zwischen Bestellung und Auftrag liegt darin, dass die Bestellung sich auf Produkte des Lieferantenkatalogs bezieht, während der Auftrag eine für den Kundenbedarf spezifische Ware betrifft.

3. Interview: 14.01.2003

F: Werden in der Beschaffung spezifische Investitionen getätigt?
A: Dies passiert eher auf der Seite der Lieferanten als auf derjenigen der Kunden, da sich im Allgemeinen jedes Unternehmen an seinem Abnehmermarkt orientiert. (1) Standortspezifische Investitionen, z.B., werden meistens von den Lieferanten getätigt, die sich nach der Größe, der Stärke und dem Prestige ihrer Kunden richten. Bei den Kunden sind solche Investitionen in der Regel gering. (2) Anlagenspezifische Investitionen können beispielsweise bei der Gestaltung des Lagers vorkommen, wenn z.B. die gelieferten Produkte besondere Bedingungen für die Lagerhaltung erfordern (Kühlschränke, usw.). Auch die Benutzung einer spezifischen Software kann relativ hohe Investitionen verursachen. (3) Investitionen in spezifisches Humankapital beziehen sich z.B. auf die Notwendigkeit, im Lager mit besonderen bzw. gefährlichen Materialien oder im Büro mit unternehmensspezifischen Arbeitsprozeduren umzugehen. Dafür muss man die eigenen Mitarbeiter schulen oder spezialisierte Mitarbeiter einstellen. Diese Art von spezifischen Investitionen findet man in der Beschaffung am häufigsten. (4) Abnehmerspezifische Investitionen betreffen per Definition nicht die Kunden, sondern die Lieferanten. Es kann jedoch den Fall geben, dass der Kunde aufgrund eines grossen Auftrages mit einem seiner Abnehmer mehr Ware von den Lieferanten benötigt und das Lager erweitern muss. In diesem Fall muss eine relativ hohe Investition getätigt werden. (5) Investitionen in der Reputation dienen zum erfolgreicheren Verkauf und nicht Einkauf. Deshalb werden sie in der Beschaffung nur von den Lieferanten getätigt (siehe z.B. ISO-Zertifizierung). (6) Terminspezifische Investitionen in zeitlich nur begrenzt absetzbaren oder nutzbringenden Gütern und Leistungen werden getätigt, wenn z.B. die Abnehmer des Beschaffungskunden Saisonwaren oder just-in-time produzieren. Dies kann auch die Beziehung mit den eigenen Lieferanten beeinflussen, und hohe Investitionen verursachen.

F: In welchem Ausmaß werden also spezifische Investitionen in der Beschaffung getätigt?
A: Obwohl spezifische Investitionen im Beschaffungsbereich eher von den Lieferanten als von den Kunden getätigt werden, sind sie potentiell relativ hoch. Die meisten spezifischen Investitionen werden jedoch für den strategischen Bedarf und die sogenannten A-Teile getätigt. Für die B- und C-Teile, die keine strategische Bedeutung aufweisen, sind hingegen die spezifischen Investitionen im Allgemeinen gering.

F: Inwiefern spielt die Unsicherheit in der Beschaffung eine Rolle?
A: Unsicherheit gehört zum Alltag der Transaktion "Beschaffung", unabhängig davon, ob es sich um A- oder B- oder C-Teile handelt. Ein Unternehmen kann z.B. über die Menge der zu bestellenden Produkte unsicher sein, so dass die Vereinbarung mit den Lieferanten komplizierter wird. Auch in Bezug auf Preise, eventuelle Rabatte, Lieferzeiten und Qualität der Ware kann es Unsicherheit geben. Somit kann ein Beschaffungsvertrag kostenaufwendig werden, da er nicht alle Kontingenzen und Eventualitäten berücksichtigen kann.

F: Wie beurteilen sie die Häufigkeit des Beschaffungsprozesses? Hoch oder gering?
A: Der Beschaffungsprozess wiederholt sich in der Regel sehr oft. Dies gilt insbesondere für die B- und C-Teile, die im Durchschnitt 80% aller Bestellvorgänge ausmachen.

4. Interview: 23.01.2003

F: Welche Art von Vertragsbindung stellt eine Entscheidung für das Outsourcing der Beschaffung dar?
A: Dies kann sehr unterschiedlich sein. Es kann keine feste Partnerschaft zwischen Unternehmen und Versorgungsdienstleister bestimmt werden, d.h. das Unternehmen wählt für jede Beschaffungstransaktion den jeweils geeignetsten bzw. kostengünstigsten Versorgungsdienstleister aus. Auch innerhalb einer festen Beziehung kann der Spielraum unterschiedlich sein. Z.B. kann sich der Versorgungsdienstleister auch um zusätzlichen Service, wie den Transport und die Logistik, kümmern.

F: Ist die "Kunde GmbH" auch ein Beispiel dafür? Wie ist die Implementierung der Outsourcing-Entscheidung bei ihr zustande gekommen?
A: Die Implementierung dieser Entscheidung ist bei der Kunde GmbH schrittweise zustande gekommen, so dass der Beschaffungsprozess von B- und C-Teilen - trotz reduzierter Belastung der Einkaufsabteilung - im Jahr 2001 immer noch über sie gelaufen ist. Erst ab 2002 konnte man den Prozess für B- und C-Teile ohne Einschaltung der Einkaufsabteilung abwickeln.

5. Interview: 12.02.2003

F: Warum ist Ihrer Meinung nach das Outsourcing der Beschaffung wirtschaftlich sinnvoll?
A: Wenn Sie die Statistiken beobachten, sehen Sie eine deutliche Zunahme der Anzahl der Angestellten und eine Abnahme der Anzahl der Arbeiter. Hinter dieser Tendenz steckt eine Problematik, die die meisten Unternehmen zwar erkannt haben, aber nicht gegensteuern können. Die Administrationsstruktur ist im Vergleich zur Produktion zu wenig modernisiert worden. Beide verbrauchen Ressourcen aber im Gegensatz zu der Produktion, die einen Mehrwert für das Unternehmen schafft, mindert die Verwaltung den Mehrwert. Jede Minderung des Mehrwertes ist ein Renditeverlust, der durch Rationalisierung der administrativen Prozesse vermieden werden kann. Heute verfügen wir über die Mittel, die Verwaltungsaktivitäten effizient zu gestalten und gleichzeitig ihre Kosten zu reduzieren. Diese Mittel sind die Informationsautomatisierung in den Bürotätigkeiten, und das Outsourcing der Prozesse und insbesondere der Beschaffung, die den überwiegenden Anteil der Verwaltungsstruktur darstellt.

F: Warum kommt das Outsourcing der Beschaffung nur bei B- und C-Teilen in Frage?
A: A-Teile besitzen einen hohen Wert und weisen daher eine strategische Bedeutung auf. Durch Auslagerung ihrer Beschaffung würde ein Unternehmen die Kontrolle über eine eigene strategische Funktion verlieren. Bei B- und C-Teilen besteht diese Gefahr nicht.
Außerdem steht der Preis der B- und C-Produkten in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zu den internen Prozesskosten, weil diese vielfach höher als der Warenwert sind. Zum Teil überschreiten die Beschaffungskosten sogar den eigentlichen Einkaufspreis der bestellten Güter. Daher binden die B- und C-Produkte trotz niedrigem Stückpreis erhebliche Kapazitäten und dies führt zu einem hohen Prozess-/Gemeinkostenzuschlag.

F: Welche Vorteile ergeben sich für die Kunden durch das Outsourcing der Beschaffung bzw. durch die Partnerschaft mit Unitec?
A: Mit dem Outsourcing muss sich das Unternehmen nicht mehr auf dem Binnenmarkt beschränken und kann dort kaufen, wo der Preis am günstigsten ist. Dies wird auch vom mehrsprachigen Personal der Unitec ermöglicht, das die Sprachbarrieren und die Notwendigkeit der Übersetzung überwindet. Außerdem ergibt sich eine Reduzierung der Warenpreise aus der Wirtschaftlichkeit des Einkaufvolumens (Skaleneffekte), das sich auf die Waren- und Technologiebereiche konzentriert, die bei den verschiedenen Anwendern der Beschaffungsdienstleistungen gleich sind. Die Lieferkosten können drastisch sinken, da es tatsächlich nicht mehr notwendig wird, kleine Mengen zu hohen Kosten zu bewegen. Das mit der Unitec vereinbarte Verwaltungsmodell der Logistik, das die Konsolidierung der Waren der verschiedenen Lieferanten in einer einzigen Lieferung ermöglicht, hat zur Konsequenz, dass die Kunde GmbH große Mengen zu niedrigen Kosten bewegen kann. Dieser Effekt ist natürlich um so höher, je größer die bestellte Menge ist. Dies erlaubt auch eine Verbesserung im Fluss der Logistik. Die Eingänge können so organisiert werden, dass die Annahme der Waren reglementiert und nicht mehr unregelmäßig erfolgt. Die Lagerabläufe können konzentriert und beschleunigt werden. Die Leerlaufzeiten werden dadurch eliminiert und gleichzeitig wird die Leistungsfähigkeit der bestehenden Strukturen gesteigert.

F: Welche Kostenfaktoren spielen in der Beurteilung und im Vergleich zwischen unternehmensinterner Beschaffung und Outsourcing der Beschaffung eine Rolle?
A: Vier Kostenfaktoren müssen berücksichtigt werden: Warenpreis, Transportkosten, Lagerbestandskosten, Prozesskosten und ggf. Preis des Versorgungsdienstleister. Die meisten Unternehmen beschränken sich jedoch darauf, die Summen von Warenpreis und Transportkosten miteinander zu vergleichen, um die Vor- und Nachteile des Outsourcing der Beschaffung zu beurteilen. Die organisatorischen Kostenfaktoren, d.h. Prozesskosten, Lagerbestandskosten und ggf. Versorgungsdienstleisterpreis, bleiben hingegen in vielen Untersuchungen unberücksichtigt, auch deshalb, weil sie viel schwieriger und zeitaufwendiger zu ermitteln sind. Dass das Outsourcing die organisatorischen Beschaffungskosten senkt, wird also selten in Betracht gezogen. Doch ist die Prozesskosten- und die Lagerhaltungskostenreduzierung eine stabile und strukturbezogene Ersparnis und bleibt daher für den Vergleich zwischen Beschaffungsorganisationsformen ausschlaggebend.

F: Sie versuchen auch neue Lösungen für die Gestaltung der Logistik zu entwickeln und zu implementieren. Was ist das sogenannte virtuelle Lager?
A: Das virtuelle Lager ist eine neue Herausforderung, die zum generellen Ziel der Unitec gehört, alle Potentialitäten für die Entwicklung der Beschaffung und der Logistik in die Realität umzusetzen, sowie die Industrieunternehmen bei einem effizienteren und sparsameren Ressourcenverbrauch zu helfen.
In der Praxis besteht das virtuelle Lager aus den Lagerbeständen der Unternehmen, die in diesem Projekt mit Unitec kooperieren. Durch einen von Unitec spezifisch entwickelten Dienst kann jedes dieser Unternehmen über den unbeschränkten Zugang zu jedem Lager und Lagerbestand verfügen. Somit ergibt sich eine virtuelle Zunahme des eigenen Lagerbestandes, ohne zusätzliche Lagerhaltungskosten. Vielmehr wird die Reduzierung des eigenen Lagerbestandes durch seine logistische Erweiterung und durch die Nutzung dieses revolutionären Dienstes ermöglicht.
Das virtuelle Lager mit der automatischen Wiederbeschaffung des Lagebestandes und der virtuellen Lagerverwaltung per Internet ist die geeignete Antwort auf einen Markt, der sich schnell verändert und rasche Umstellungen verlangt.

Eidesstattliche Versicherung

Hiermit erkläre ich an Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe.
Die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht.
Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt oder veröffentlicht.

Augsburg, 24. Juli 2003                Enrico Poli

 


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